Kraft und Vermögen der Kunst

Noch nie in der Moderne habe es mehr Kunst, sei die Kunst sichtbarer, präsenter und prägender in der Gesellschaft gewesen als heute, sagt Christoph Menke in „Kraft der Kunst“.  „Noch nie war die Kunst zugleich so sehr ein Teil des gesellschaftlichen Prozesses wie heute. Die ubiquitäre Gegenwart der Kunst und die zentrale Bedeutung des Ästhetischen in der Gesellschaft gehen einher mit dem Verlust dessen, was ich ‚ihre Kraft‘ zu nennen vorschlage. Mit dem Verlust der Kunst und des Ästhetischen als Kraft“, befürchtet Menke. Die allgegenwärtige Präsenz von Kunst schwäche ihre Wirkung. Dadurch, dass der Anspruch allgegenwärtig ist, dass viel produziert, viel gehabt, viel konsumiert, viel gekauft werden müsse, unterliege die Kunst den Gesetzen der Fließbandarbeit. Dadurch gehe aber ihre Kraft des Unterbewussten, des Mystischen verloren. (Der Kunsthistoriker Bredekamp vertritt in „Theorie des Bildaktes“ eine andere Meinung – dazu später.)

Die Kraft der Kunst ist unberechenbar; sie wohnt dem Künstler oder der Künstlerin inne, ist aber dennoch nicht subjektiv; sie ist vielmehr etwas, das da ist, aber kaum mit der Person selbst zu tun hat; diese Kraft ist etwas Unbestimmtes. Sie braucht allerdings das Medium des Künstlers oder der Künstlerin. Der Künstler verleiht ihr die Form durch sein Vermögen. Das Vermögen erarbeitet sich der Künstler; es handelt sich um eine Kompetenz, die durch mühevolles Üben entsteht. Wie und wann dann aber ein Kunstwerk entsteht, kann im Grunde nicht wirklich geplant werden. Die Kraft der Kunst im Unterbewusstsein eines Künstlers oder einer Künstlerin und sein oder ihr „Vermögen“ müssen zusammentreffen, damit der Kunst Ausdruck verliehen werden kann. Dieser glückliche Zufall, der nicht planbar, keinen Naturgesetzen unterliegt, muss dann noch mit einem Publikum geteilt werden und im besten Fall auf Verständnis stoßen – oder auch nicht. Auch das Publikum muss über entsprechende Fähigkeiten verfügen, um ein Kunstwerk entschlüsseln zu können.

Es geht in der Kunst nicht darum, Erkenntnis, Politik oder Kritik zu sein (Christoph Menke, Die Kraft der Kunst, Berlin 2013, S. 11). Der Zusammenhang der Kunst ist ein Zusammenhang der Kräfteübertragung. Übertragen wird die Kraft der Begeisterung, der Entrückung auf den Künstler, Zuschauer und Kritiker „bis er begeistert worden ist und bewusstlos und die Vernunft nicht mehr in ihm wohnt.“ Das ästhetische Denken der Kunst beruht auf der Erfahrung, dass sich in der Kunst eine Kraft entfaltet, die das Subjekt aus sich herausführt, ebenso hinter sich zurück wie über sich hinaus; eine Kraft also, die unbewusst ist – eine dunkle Kraft (Herder).

Inputs aus: Christoph Menke, Die Kraft der Kunst, Berlin 2013, S. 12

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