Weder kritisch noch produktiv

Was wichtig ist: Kunst ist kein Teil der Gesellschaft – keine soziale Praxis; denn die Teilnahme an einer sozialen Praxis setzt die Struktur der Handlung, die Verwirklichung einer allgemeinen Form voraus. Und deshalb sind wir in der Kunst, im Hervorbringen oder Erfahren der Kunst, keine Subjekte; denn ein Subjekt zu sein heißt, die Form einer sozialen Praxis zu verwirklichen. Die Kunst ist vielmehr einer Freiheit nicht im Sozialen, sondern vom Sozialen; genauer: der Freiheit vom Sozialen im Sozialen. Sobald das Ästhetische zu einer Produktionskraft im postdisziplinären Kapitalismus wird, ist es seiner Kraft beraubt; denn das Ästhetische ist aktiv und hat Effekte, aber es ist nicht produktiv (Anm.: hier produktiv im Sinne von zweckorientiert. Nach Erich Fromm ist ein produktiver Mensch ein glücklicher Mensch; allerdings meint er damit einen Menschen, der seinem Willen und innerem Empfinden Ausdruck verleiht. Das bedeutet „produktiv zu sein“ im Sinne von „schöpferisch tätig“ und nicht produktiv im Sinne des kapitalistischen Gedanken). Ebenso wird das Ästhetische seiner Kraft beraubt, wenn es eine soziale Praxis sein soll, die sich gegen die entfesselte Produktivität des Kapitalismus ins Feld führen lässt; das Ästhetische ist zwar befreiend und verändernd, aber es ist nicht praktisch – nicht „politisch“. Das Ästhetische als „Gesamtentfesselung aller symbolischen Kräfte“ (Nietzsche) ist weder produktiv noch praktisch, weder kapitalistisch noch kritisch.

In der Kraft der Kunst geht es um unsere Kraft. Es geht um die Freiheit von der sozialen Gestalt der Subjektivität, sei sie produzierend oder praktisch, kapitalistisch oder kritisch. In der Kraft der Kunst geht es um die Freiheit.

(Christoph Menke, Die Kraft der Kunst, Berlin 2013, S. 14)

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