Basis 3: Über das Tätigsein

Der Mensch ist ein Lebewesen, das handelt, tut, produziert, erschafft, kurz: Er ist tätig (active). Dieser Mensch handelt weder im luftleeren Raum, noch in einer immateriellen Welt. Er tritt mit seiner Umwelt in Beziehung, er hat immer mit Dingen zu tun. Er beschäftigt sich mit Gegenständen, mit belebten und unbelebten, die er gestaltet und erschafft.

Sein Körper ist der erste „Gegenstand“, mit dem der Mensch sich beschäftigt – und nicht immer gelingt diese Beziehung. Später befasst er sich mit anderen Dingen: zum Beispiel mit Holz für das Feuer oder für seine Unterkunft, mit Früchten, Tieren und Getreide zum Essen; mit Baumwolle und Wolle für Kleider.

Mit dem Fortschreiten der Zivilisation vergrößerte sich der Bereich der Dinge, mit denen der Mensch zu hatte, enorm: Er erschuf Waffen, Häuser, Bücher, Maschinen, Schiffe, Autos, Flugzeuge und mit allem musste er lernen umzugehen.

Die Fähigkeiten des Hörens und Sehens dienen einerseits einem biologischen Zweck: Geräusche zu hören kann vor Gefahren bewahren und Leben retten, Nahrung zu sehen, dient der Lebensmittelbeschaffung und stillt Hunger.

Der Mensch hat jedoch auch die Fähigkeit, das Hören nicht nur fürs Überleben einzusetzen. Er kann es sich leisten zu hören, ohne dass dieses Hören einem besonderen biologischen Zweck dienen muss. Er kann hören, um seine  Lebensenergie zu vermehren sowie sein Wohl-Sein und und seine Lebendigkeit. Hört der Mensch auf eine „nicht zweckgebundene Weise“, dann sagen wir, dass er zuhört, er hört beispielsweise dem aufreizenden Rhythmus von Trommeln zu, einer warmen Stimme, einer sinnlichen Melodie. Das Hören bekommt eine transbiologische Bedeutung – dadurch wird der Mensch zu einem wirklich menschlichen Lebewesen, zu einem Tätigen, zu einem Schöpferischen, zu einem „Freien“.

Was für das Hören gilt, gilt auch für das Sehen. Wenn wir die schönen Verzierungen selbst auf den ältesten Tonkrügen betrachten oder die Bewegungen der Tiere und Menschen in den mehr als 30.000 Jahre alten Höhlenmalereien, wenn wir die Ausstrahlung eines liebenden Gesichts oder einer menschlichen Hand betrachten, uns darin vertiefen, dann sind wir vom biologisch Notwendigen zum Reich der Freiheit übergetreten, von der tierischen zur menschlichen Existenz.  [Quelle: Erich Fromm, Vom Haben zum Sein, Berlin 2013 (7.Auflage), S. 115 f.]

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